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Wahrheitskommission auf Ghanaisch
Drei Militärregime, vier Republiken - Neun Menschen sollen ein halbes Jahrhundert Geschichte aufarbeiten

Die Wut der Armen hat endlich ein Ziel: Die Marktfrauen mit ihren überteuerten Preisen, die korrupten Beamten und die reichen Hausbesitzer sind Schuld. Sie alle stehlen Ghanas Reichtum, der doch allen gehören sollte. In diesem Sommer 1979 ist da niemand, der die Massen zurückhält - im Gegenteil: Der Putschist und spätere Präsident Jerry John Rawlings unterstützt Enteignungen, Auspeitschungen und Hinrichtungen.

Ghana ist seit 45 Jahren unabhängig, dieses knappe halbe Jahrhundert war eine unruhige Zeit, Militärregime und Demokratien wechselten sich ab. Rawlings war nicht der einzige Militärführer in Ghanas Geschichte, aber er hat am längsten die Geschicke des Landes gelenkt. Nach seinem zweiten Putsch Ende 1981 hat der Fliegerleutnant zehn Jahre als Diktator geherrscht, dann acht Jahre als demokratischer Präsident regiert. Als er Ghana eine Verfassung gab, enthielt diese auch seine Variante der Vergangenheitsbewältigung: Straflosigkeit für sein Regime. Die Morde, die Verhaftungen, die Enteignungen sind daher nie untersucht worden.

Ende 2000 wurde Rawlings Partei abgewählt, John Agyekum Kufuor wurde Präsident. Seine Regierung will die Untaten der Vergangenheit nicht länger ruhen lassen und verfasste ein Gesetz zur nationalen Versöhnung. Eine Kommission soll in anderthalb Jahren die Untaten von drei Militärregimen untersuchen. Dazu gehören neben Rawlings auch die Generäle Afrifa, Acheampong und Akuffo; alle drei hat der Ex-Präsident hinrichten lassen.

Politik und Versöhnung
Der Opposition gefällt das Gesetz zur nationalen Versöhnung gar nicht. Dem National Democratic Congress kann es kaum nützen, wenn die Vergangenheit seines Gründers Rawlings allzu genau untersucht wird. Sie werfen Präsident Kufuor die Instrumentalisierung der Versöhnung für parteipolitische Ziele vor. Als das Gesetz im Januar 2002 zur Abstimmung stand, haben alle Abgeordneten der Opposition geschlossen das Parlament verlassen. Eine Spaltung steht am Anfang der Versöhnung.

Doch auch von anderer Seite hagelt es Kritik. "Die Regierung hat nicht auf Vorschläge aus dem Volk gehört", beklagt der freie Journalist Ileasu Adams. Nationale Versöhnung dürfe einfach nicht zeitlich so eingeschränkt sein. In der Tat gibt es gute Argumente für eine Ausweitung auf die Zeit der Zivilregierungen. Auch der legendäre Staatsgründer und Panafrikanist Kwame Nkrumah hat oppositionelle Politiker willkürlich inhaftiert, viele sind im Gefängnis gestorben.

Ist das Gesetz überhaupt auf Versöhnung angelegt? Nein, glaubt, Sam Gbaydee Doe, Direktor des West Africa Network for Peace-building. Doe meint, dass das Gesetz in seiner jetzigen Form sogar eine Gefahr sein kann, da das Gesetz eher eine juristische als eine Wahrheitskommission beschreibe. "Die Kommission wird schmerzvolle Erinnerungen wach rufen, sie muss in der Lage sein, diese zu heilen, nicht nur Entschädigung vorzuschreiben", fordert er.

Rätselraten um ein Gesetz
Justizminister und Generalstaatsanwalt Nana Akufo-Addo lässt diese Kritik ruhig an sich abprallen. "Der ganze Prozess ist kontrovers, wie könnte es anders sein?" Der Autor des umstrittenen Gesetzes hat auf jede Kritik einen gut vorbereiteten, eingeübten Konter parat. Die Opposition lehnt das Gesetz ab? - Zustimmung zu erwarten sei ohnehin naiv gewesen. Der Untersuchungszeitraum ist zu begrenzt? - Man könne doch nicht beim Sklavenhandel beginnen, außerdem lasse eine Hintertür auch Anträge aus anderen Perioden zu. Die inter-ethnischen Spannungen, die im Norden des Landes immer wieder Menschenleben fordern, kommen im Versöhnungsprozess nicht vor? - Auch das könne behandelt werden, wenn es einen Beschwerdeführer gäbe. Damit führt Akufo-Addo höchstpersönlich das größte Problem der Versöhnungs-Kommission vor: ihre Beliebigkeit.

Obwohl im Sommer 2002 die Arbeit beginnen soll, rätseln Politiker, Vertreter der Zivilgesellschaft und Journalisten, wie diese genau aussehen wird. "Parliamentary Circus" nennt ein Kommentator das Geschehen um die nationale Versöhnung. In der Tat erinnert der Ablauf an ein Possenspiel: Abstimmung ohne Opposition, Streit um die Zahl der gültigen Stimmen, Verzögerungen im Zeitplan, Verwirrung über schwammige Formulierungen.

Straffreiheit nach Geständnis
Einige Fakten lassen sich aber aus dem Gesetzestext entnehmen: Die Kommission wird neun Mitglieder haben, die Präsident Kufuor ernennen wird. Diese neun können über eine Untersuchungseinheit mit weitreichenden Kompetenzen verfügen. Sie entscheiden über die Zulässigkeit einer Beschwerde und können während des Verfahrens Zeugen, Opfer und Täter vernehmen. Tätern soll im Gegenzug für ihre Aussagen Straffreiheit gewährt werden - ganz wie bei der südafrikanischen Wahrheitskommission. Am Ende eines Verfahrens kann die Kommission eine Methode zur Wiedergutmachung empfehlen.

Unglücklicherweise sind diese Details kaum bekannt. Daher drängt sich die Frage auf, wie ein gesamtgesellschaftlicher Versöhnungsprozess funktionieren soll, wenn nur ein Bruchteil der Gesellschaft von den Plänen weiß. Selbst in der Hauptstadt Accra, selbst in den Zeitungsredaktionen und bei den Nichtregierungsorganisationen ist der Gesetzestext kaum bekannt.

Ofori Adusei, Vorsitzender von Amnesty International Ghana, weist deshalb zu Recht darauf hin, dass noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten ist, damit das ganze Land Teil des Versöhnungsprozesses sein kann. Die Opfer müssten ihre Geschichte erzählen können, die Täter müssten ihre Schuld zugeben. Adusei warnt: "Verordnete Versöhnung kann nicht funktionieren." Aber der Anwalt hat auch noch ein gutes Wort für das Vorhaben der Regierung: "Die Regierung hat sich eines guten Zweckes angenommen. Wir werden abwarten und sehen, was daraus wird."

Stand: April 2002

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