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Krieger für den Frieden
Sieben Jahre nach einem grausamen Krieg versuchen die Menschen im Norden, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen

Interview auf dem Marktplatz von Kitoe

Die Bewohner von Kitoe versammeln sich auf dem Dorfplatz - zwischen Massengräbern und Ruinen. Das dort drüben war die Schule, das war ein Wohnhaus. Der Krieg ist sieben Jahre her, doch diese Menschen im Nordosten Ghanas sind zu arm, um ihr Dorf wiederaufzubauen. Viele von ihnen sind nach den ungezählten Morden ohnehin nie zurückgekommen, sie wollten das alles hinter sich lassen und vergessen.

Jonathan Abudu ist geblieben, obwohl sein Vater getötet wurde, obwohl sein Dorf in Trümmern lag. "Ich bin einer von den Ältesten, ich habe Verantwortung", erklärt er. Seinen Einfluss im Dorf hat er für Versöhnung eingesetzt: Als Kitoe Kredite für Sojabohnen-Anbau angeboten wurde, da hat Jonathan, der Gonja, auch die Konkomba eingeladen, die das Dorf seit den Kämpfen zwischen den beiden Ethnien nicht mehr betreten hatten. Sie treffen sich nun alle zwei Wochen, um zu reden, über die Landwirtschaft und Probleme der Gemeinde.

Die ghanaische Organisation SEND lieh zwölf Familien in Kitoe Geld, damit sie ihre Felder bestellen konnten. SEND hilft den Menschen beim Verkauf, zeigt aber auch beim Kochtraining, wie Soja die Ernährung der Familie ergänzen kann. Salamata Issahaku hat deshalb von ihrer Ernte - drei Säcken Sojabohnen - etwas zurückbehalten, um ihre zwei Kinder zu ernähren. Die Frau hatte einmal sechs Kinder, vier sind im Krieg gestorben. Und doch sitzt sie gemeinsam mit ihren früheren Feinden auf dem Dorfplatz und plant das zweite Jahr des Hilfsprojekts.

Neben ihr auf der Bank sitzt Alhassan Imoru. Der Journalist ist in das Dorf gekommen, um für einen Artikel über die Arbeit von SEND zu recherchieren. Er kann es kaum glauben, dass die Menschen in Kitoe wieder miteinander reden. Das letzte Mal war Imoru direkt nach den Kämpfen hier, im Auftrag der ghanaischen Nachrichtenagentur. Er hat die Leichen gesehen, die vielen ermordeten Kinder, die Berge aus verstümmelten Körpern.

Der "Northern Conflict"
Die Menschen in Ghana nennen die Ereignisse der Jahre 1994 und 1995 den "Northern Conflict". Was passiert ist, ähnelt allerdings mehr einem Bürgerkrieg, der zwar nicht ganz Ghana, aber doch die ohnehin unterentwickelte Nordregion in ein Chaos stürzte. Tausende Menschen starben, zehntausende mussten fliehen. Auch sieben Jahre danach wird nur zögernd nach den Ursachen und Zusammenhängen dieses Kriegs gefragt, die tief in Ghanas Gesellschaft verwurzelt sind.

In Ghana leben dutzende Volksgruppen zusammen, sie sprechen verschiedene Sprachen und haben sehr unterschiedliche Strukturen. Einige von ihnen sind streng zentralistisch: Sie haben einen obersten Häuptling, unter ihm herrschen auf verschiedenen Stufen andere Häuptlinge; diese Gruppen besitzen das Land und üben darüber Herrschaft aus. Andere Volksgruppen haben nur ihre Dorfältesten, keine zentrale Instanz, sie sind kaum organisiert. Die Konkomba, ein Nomadenvolk, kennen zum Beispiel nur einen Anlass, sich zu versammeln - den Krieg.

Man erzählt sich, dass im Februar 1994 ein Konkomba und ein Nanumba auf einem Markt um ein Perlhuhn stritten. So soll dieser Krieg um politische und wirtschaftliche Macht begonnen haben. Es war nicht der erste Krieg zwischen den Ethnien, aber es war der folgenreichste. Jeden Tag breitete sich der Krieg weiter aus, immer mehr Dörfer wurden zerstört, immer mehr Volksgruppen griffen zu den Waffen. Die dezentral organisierten Gruppen, vor allem die Konkomba, kämpften gegen die Gonja, die Nanumba, die Dagomba, die sie als Unterdrücker empfanden. Diese wiederum sahen die Konkomba als Mörder, die grundlos töteten.

Über ein Jahr tobten die Kämpfe, die Konkomba erwiesen sich als erfolgreiche und grausame Krieger. Die Regierung schickte Soldaten und versuchte zu vermitteln. Aber erst ein Konsortium von Nichtregierungsorganisationen brachte Vertreter der Parteien an den Verhandlungstisch. Im Mai 1995 unterschrieben sie einen Friedensvertrag. Seitdem wird nicht mehr gekämpft im Norden Ghanas, zumindest nicht mehr andauernd. Zwischenfälle gibt es aber immer wieder. In den meisten Dörfern leben die Menschen noch immer getrennt nach Ethnien.

Mühsame Friedensarbeit
Nur sehr langsam wird ein Friedensprozess wahrscheinlicher als ein neuer Krieg. "Ein Vertrag macht noch keinen Frieden, man muss dafür arbeiten", sagt Samuel Zan, Vize-Präsident von Amnesty International und Leiter der SEND Foundation (Social Enterprise Development). "Für unsere Arbeit haben wir uns den Eastern Corridor gezielt ausgesucht, um das Leid dort zu lindern", erklärt Zan. Die Stiftung arbeitet unter anderem mit jungen Unternehmern, SEND-Mitarbeiter bringen ihnen Finanzplanung bei und ermutigen sie dazu, Kooperativen zu bilden, in denen sie sich gegenseitig helfen. Die Organisation will den Menschen in der armen Nordregion eine ökonomische Perspektive bieten, dabei sollen die verschiedenen Ethnien möglichst zusammenarbeiten; dieser Austausch soll ein neues Zusammenleben ermöglichen.

Denn Entwicklungshilfe und Friedensarbeit gehen Hand in Hand, da ist sich Clement Aapengnuo sicher: "Wir können keine Friedensarbeit leisten, ohne etwas gegen die Armut zu tun." Der katholische Priester hat im Auftrag des Catholic Relief Service vor gut zwei Jahren das Northern Ghana Peace Project aufgebaut. In den Seminarräumen in Damongo treffen sich Häuptlinge und andere einflussreiche Persönlichkeiten zum Konflikttraining. Mitarbeiter des Zentrums fahren auch in die Gemeinden, spielen Theater oder versuchen vor Ort zu vermitteln.

"Zeit und Geld reichen nicht aus, um alle Anfragen zu bearbeiten", erklärt Aapengnuo. Viele Konflikte bleiben ungelöst, an vielen Orten bricht erneut Gewalt aus. Und doch lassen die kleinen Fortschritte den Priester immer wieder hoffen. Er erzählt zum Beispiel eine Episode von einem Mann, der als Krieger viele Menschen getötet hatte. Bei einem Konflikttraining lernte dieser Krieger, wie wenig er selbst, seine Familie, seine Freunde von der Gewalt profitieren. Er stand auf und verkündete: "Ihr wisst, ich war ein großer Krieger, aber jetzt werde ich ein Krieger für den Frieden sein."

Zwei Geschichten eines Krieges
Doch nicht alle Probleme können in Seminaren gelöst werden. Damit die verfeindeten Ethnien wieder zusammenleben können, müssen auch die Kriegsursachen angesprochen werden: Kulturelle Unterschiede und Machtkämpfe um knappe Ressourcen. Vor allem Dagomba und Konkomba sind von einem Friedensschluss noch weit entfernt. Sie erzählen zwei Geschichten eines Krieges.

Salifu Tea, ein Dagomba, erzählt: "Eines Tages saßen wir zusammen, da kam jemand und sagte, die Konkomba wollten gegen uns kämpfen. Ich sagte, das ist unmöglich, wir sind ein Volk, haben gemeinsame Kinder, leben zusammen. Kein Konkomba würde das tun. Und doch geschah es" Den Dagomba gehöre das Land, erklärt er, deshalb seien sie die rechtmäßigen Herrscher. Salifu Tea lebt in Yendi, der Königsstadt der Dagomba, und ist ein Berater des Königs, des Ya-Na. Kaum ein Konkomba lebt in Yendi, nur wenige betreten die Stadt.

Gurundi Balibo, ein Konkomba, erzählt: "Eines Tages saßen wir zusammen, da kam jemand, der sagte, die Dagomba wollten alle Konkomba vertreiben. Ich sagte, das ist unmöglich, kein Dagomba würde das tun. Und doch geschah es." Die Konkomba seien schon vor den Dagomba hier gewesen, erklärt er, ihnen gehöre das Land. Die Dagomba seien Eroberer und hätten die Konkomba in ihrer Heimat unterdrückt. Gurundi Balibo lebt in Kulkpeni, einem Dorf, auf der Straße von Yendi nach Tamale und ist ein Ältester in seiner Gemeinschaft. In seinem Dorf leben nur Konkomba.

Die beiden alten Männer, beide einflussreich in ihren Gemeinden, beide gezeichnet von den Kämpfen, teilen auch einige Einsichten. Die gebildeten Reichen in der Hauptstadt, die in klimatisierten Räumen schliefen, hätten die Kämpfe gelenkt, sagen beide. Und: Langsam gäbe es Hoffnung auf Frieden, denn die Konkomba kämen aus den Wäldern und siedelten wieder an den Straßen.

Wer war zuerst da - auf diese Frage läuft es hinaus, als ob eine richtige Antwort den Konflikt beilegen könnte. Geographie und Geschichte sprechen eher dafür, dass die Konkomba zuerst in und um Yendi gesiedelt haben. Denn das Reich der Dagomba ist nach Osten ausgedehnt worden in den vergangenen Jahrhunderten, die Eroberer mussten vor anderen Stämmen fliehen und ihre Hauptstadt verlegen. Und doch bleibt die Frage, welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können, nun da die Volksgruppen in einer Region miteinander leben müssen.

Ethnischer Wahlkampf
Wer durch den Nordosten Ghanas fährt, der muss viele Straßensperren passieren. Viele Soldaten der Regierung, die 1994 kamen, sind noch immer in der Region und sollen für das schmerzlich vermisste Gefühl der Sicherheit sorgen. Tore und Kontrollen vor und hinter Salaga. Tore und Kontrollen vor und hinter Nakpayili, wo der berüchtigte Streit um das Perlhuhn zum Krieg geführt haben soll.

Die Fahrt geht weiter nach Bimbilla. Die Lage dort ist angespannt, denn in Bimbilla ist Wahlkampf, und gekämpft wird hier an ethnischen Fronten. Wahlkämpfer der Regierung und der Opposition benutzen gleichermaßen gefährliche Argumente: Wählt uns, sonst gibt es einen neuen Krieg; wählt uns, sonst werdet ihr endgültig vertrieben. Seit Ghanas Unabhängigkeit setzen Politiker ethnische Bande und die Macht der Häuptlinge für ihre Zwecke ein. Präsident John Agyekum Kufuor, der Anfang 2001 Ex-Diktator und Ex-Präsident Jerry Rawlings ablöste, hatte eigentlich versprochen, es anders zu machen.

"Einige Aktivisten vor Ort kann man einfach nicht kontrollieren", räumt Regierungssprecher Kwabeena Agyepong ein. "Anscheinend sind sie einfach stolz darauf, wenn einer ihrer Stammesgenossen gewählt wird." Präsident Kufuor aber wolle keinesfalls mit ethnischen Gefühlen Politik machen, versichert er. Zusammen mit dem National House of Chiefs wolle er vielmehr versuchen, die richtigen Prozeduren für alle wichtigen Häuptlinge des Landes zu dokumentieren. So sollen Thronfolge- und Herrschaftsfragen ein für alle mal geklärt werden, damit der richtige Häuptling herrscht und diese Herrschaft auch akzeptiert wird.

Der richtige Häuptling
Nayon Bilijo, ein Konkomba und Parlamentsabgeordneter, will ebenfalls, dass der richtige Häuptling herrscht, und zwar ein Konkomba-Häuptling über sein eigenes Volk. Bilijo kämpft dafür, dass die Konkomba nicht mehr von den Dagomba dominiert wird. Um das zu erreichen, müssen die Konkomba sich neu organisieren, einen Prozess finden, wie ihre Häuptlinge bestimmt oder gewählt werden. Denn bisher hatten sie ja nur Dorfälteste, keine zentralen Sprecher.

So waren die Dagomba ihnen überlegen: Schon die britischen Kolonialherren redeten der Einfachheit halber nur mit den Häuptlingen des Nordens. Und auch nach der Unabhängigkeit hatten die Konkomba kaum Fürsprecher im Süden, wo die Geschicke des Landes gelenkt werden. Die Kämpfe des Nordens werden in der Hauptstadt Accra meist durch die Augen der Dagomba gesehen, denn die Dagomba fanden schnell den Weg an die Macht, ins Verteidigungsministerium, ins Außenministerium und in den Beraterstab des Präsidenten. Die Soldaten, die 1994 in den Norden kamen, waren also keinesfalls unparteiisch.

Und so haben Bilijo und die Konkomba mächtige Gegner auf ihrem langen Weg zur Selbstbestimmung. Der König der Dagomba hat ihnen drei oberste Häuptlinge gewährt. Nach den Vorstellungen des Herrschers sollen sie ihm unterstehen, da sie auf seinem Land leben. Damit würden sich Bilijo und seine Mitstreiter aber niemals zufriedengeben. Sie wollen ihre eigenen Herrscher, ihr eigenes Land.

Vergessen, vergeben
"Wenn unsere Häuptlinge anerkannt werden, dann kann es Frieden geben", sagt Victoria Landi Ali. Sie lebt mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin in einer Mietwohnung am Rande von Yendi. Vor den Kämpfen hatte ihre Familie dort ein Haus, es wurde niedergebrannt. Erst vor zwei Jahren wagte sie es, wieder in der Königsstadt der Dagomba, ihrer Kriegsgegner, zu siedeln. Sie sagt, wir müssen die Grausamkeiten vergessen, die wir uns gegenseitig angetan haben.

Andere wollen nicht vergessen, zum Beispiel der Direktor der National Commission for Civic Education für die Nordregion. "Die Konkomba haben grundlos Dörfer überfallen und so viele Menschen getötet", klagt Issah Abduallahi Nasagri an und fragt: "Warum? Mit welchem Recht - diese Fragen mussten sie nie beantworten." Nasagri ist ein Dagomba, doch diese Fragen stelle er nicht als Dagomba, sondern als Mensch, betont er. Er fordert eine Wahrheitskommission, die Geschehnisse müssten aufgearbeitet werden.

J. J. Bakari ist da anderer Meinung. Der Gonja-Häuptling ist der Vorsitzende der Northern Regional Youth and Development Association (NORYDA). Die Vereinigung war Teil des Friedensvertrages, eine Ethnien übergreifende Organisation gab es vorher nicht. Bakari glaubt nicht, dass eine Untersuchung den Menschen in den Dörfern helfen könne. "Das ist doch nur etwas für die gebildeten Menschen." Mit Geldern von Action Aid und Oxfam versuchen die Mitglieder von NORYDA, an der Basis für den Frieden zu wirken: der gemeinsame Wiederaufbau einer Schule, Training in Konfliktlösung.

Dabei müssen sie erfahren, was die Friedensarbeit so schwierig macht: Versöhnung braucht sehr viel mehr Zeit, Mühe und Ressourcen als Zerstörung. In Kitoe, wo die Farmer der Gonja und der Konkomba zwischen Ruinen zusammensitzen und den Sojabohnenanbau für die nächste Regenzeit planen, da ist ein Anfang gemacht.

Stand: April 2002

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