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Königsmord in Ghana
Einer der einflussreichsten Herrscher Ghanas bittet zur Audienz - wenige Tage vor seiner Enthauptung

KönigDer Ya-Na, der König der Dagomba, schenkt mir zum Abschied ein Perlhuhn. Das Tier ist an den Füßen und an den Flügeln zusammengebunden. Nur sein Kopf bewegt sich in einem grotesken rechten Winkel zum Körper auf und ab. Mit den Füßen des Perlhuhnes in der Hand steige ich in eins der drei Taxen von Yendi, der Königsstadt im Norden Ghanas. In der Missionsstation der Church of Christ gebe ich das Geschenk weiter an meine Gastgeber. Der Hausmeister verspricht, es in den großen Käfig vor der Tür zu bringen. Aber er vergisst es. Das Huhn liegt einen Tag lang im Schuppen, gefesselt, durstig und hungrig. Als ich am Abend davon erfahre, fühle ich mich schuldig. Inzwischen hat die Familie des Hausmeisters das Tier gegessen.

Hühner haben eine mystische Bedeutung in den Ritualen im Norden Ghanas. Die Mehrheit der Menschen ist muslimisch, aber das hat die traditionellen Religionen nicht verdrängt. Das Orakel gibt Antwort auf die großen Fragen des Lebens - oft in Form eines Huhns. Verendet das Huhn auf dem Bauch, nachdem es geköpft wurde, heißt die Antwort "Ja", liegt es auf dem Rücken, sagt das Orakel "Nein". In der trostlosen Dürre im Norden, wo das Leben hart und die Menschen hungrig sind, ist es schwer, sich diesen Mythen zu entziehen. Ob mein Huhn auf dem Bauch oder auf dem Rücken starb, weiß ich nicht, aber das Schicksal des königlichen Perlhuhnes scheint ein böses Omen gewesen zu sein.

Einige Tage später stürmen bewaffnete Kämpfer den Gbewaa Palast in Yendi. Sie kommen in der Nacht, sie köpfen den König, töten seine Ältesten, brennen sein Haus und die Hütten seiner Frauen nieder. Die Menschen fliehen aus der Königsstadt, nehmen nur mit, was sie tragen können.

Reichtum ist relativ
Ghana gilt als das politisch und wirtschaftlich stabilste Land Westafrikas. Es hat einen demokratischen Regierungswechsel hinter sich; in der Hauptstadt Accra können Reiche in Restaurants oder Fast-Food-Lokalen essen. Daneben und dazwischen gibt es aber noch das andere Ghana - das Ghana der Könige, der Häuptlinge und der Magier. Vor allem im Norden des Landes haben sie große Macht. Dorthin fahre ich, um mit den Menschen über die Spannungen zwischen den Volksgruppen zu reden. Als ich in Accra in den Bus steige, ahne ich noch nicht, dass es dieses Mal ein Kampf zwischen zwei Familien Menschenleben fordern wird.

In den Tagen vor diesem Mord herrscht in Yendi trügerische Ruhe. Eine holprige Piste führt in die Königsstadt, nur der letzte Kilometer vor der Stadt ist asphaltiert. "Das war ein Wahlkampfgeschenk der Regierung", sagt Mohammed, der junge Schuhverkäufer. Wir sitzen auf zwei wackligen Stühlen vor seinem kleinen Laden und warten darauf, dass der Bezirkschef von Yendi von einer Beerdigung zurückkommt. "Der Bezirkschef ist mein Onkel, ich kenne ihn gut", prahlt Mohammed. Irgendwie ist in Yendi jeder mit jedem verwandt, ghanaische Familien sind groß. Nun versucht Mohammed, mich mit seinem Wissen über den König zu beeindrucken: "Der hat über 50 Frauen, so viele, dass ihm Freunde dabei helfen müssen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen."

Als der Pick-up des Bezirkschefs endlich vorbeifährt, kann Mohammed ihn mit seinem Winken nicht stoppen. So gut sind seine Beziehungen zu seinem Onkel offenbar auch wieder nicht. Dem Schuhverkäufer scheint das aber wenig auszumachen. "Dann fährt mein Freund Dich eben auf dem Motorrad hin." Schon sitze ich hinten auf der klapprigen Geländemaschine, der Fahrer weicht geschickt den vielen Fußgängern und einigen Radfahrern aus, die hinter uns Staub atmen müssen.

Die Bezirksverwaltung arbeitet im größten Haus Yendis, einem vierstöckigen Bau, der irgendwie noch unfertig aussieht. An einigen Seiten hängen Stahlträger heraus, im Waschraum steht das Waschbecken lose auf dem Boden, fließendes Wasser gibt es nicht. Das Büro des Bezirkschefs allerdings ist vollständig eingerichtet, mit einem eindrucksvoll großen Schreibtisch und Polstersesseln. "Nein, bitte keine Fotos, bitte kein Diktiergerät." Der Kampf um den Thron der Dagomba, das sei ein delikates Thema. Aber reden will Mohammed Habibu Tijani trotzdem. Er scheint fast erleichtert, dass er eine Außenstehende gefunden hat, der er seine Sorgen beichten kann. "Ja, wir haben einen Herrschaftskonflikt im Reich der Dagomba, und Yendi, als traditionelle Hauptstadt, muss die ganze Last tragen." Tijani spricht unwillkürlich leiser. Wenn ein Angestellter sein Büro betritt, verstummt er, redet erst wieder, wenn wir allein sind. Im Flüsterton und mit kurzen Pausen höre ich also die Geschichte vom Streit zwischen Brüdern.

Streit um den Thron
Um den Thron der Dagomba kämpfen seit Jahrzehnten zwei Zweige einer Familie. 1974 vertrieb General Acheampong mit seinem Militärregime Ya-Na Mahamadu Abdulai von seinem Thron, und setzte Ya-Na Yakubu Andani II ein. Abdulai aber beharrte auf seinem Anspruch. Seine Familie, die Abudu, zogen schließlich vor Gericht. Die Richter fühlten sich außerstande, einen König zu entmachten. Sie entschieden, der Thron solle zwischen den Familien rotieren . So lebt der Ya-Na der Andani weiterhin im Palast, der Ya-Na der Abudu wartet außerhalb auf die Macht und den Tod des anderen.

T.J., wie der Bezirkschef genannt wird, ist ein Abudu, und er wartet ebenfalls. Er lässt deutlich erkennen, dass die Abudu nach fast 30 Jahren Andani-Herrschaft ungeduldig werden. Doch das darf er außerhalb seines Büros niemals zeigen. Seine Position ist ein Tanz auf dem Drahtseil. Um sich nicht zu verheddern im Netz der Abhängigkeiten und Loyalitäten, hat er sich ein Schema gemalt. In schiefen Kästchen hat er mit Kugelschreiber die Menschen beider Clans eingetragen, die er konsultieren muss, bevor er eine Entscheidung treffen kann. Die Zeichnung füllt ein DIN-A4-Blatt.

Die Männer der Andani-Familie reden nicht so offen über den Streit um den Thron. "Niemand muss sich deswegen Sorgen machen", erklärt Salifu Tea kurz angebunden. Der alte Freund und langjährige Berater des Königs empfängt seine Gäste in seinem Familienhaus direkt neben dem Markt. Nur noch einmal kommt er auf den Kampf um die Macht zu sprechen. Fast unbewusst gibt er zu, dass nicht alle in Yendi seinem verehrten König gehorchen. "Wie groß ist denn Ihre Familie?" - "23 Kinder habe ich. Wie viele Frauen ich hatte, kann ich nicht sagen, jetzt sind noch zwei bei mir." Der alte Mann macht eine Pause, fügt dann hinzu: "Wenn Sie zum Beispiel eine Frau des anderen Clans heiraten, sollten Sie sie nicht zu lange im Haus behalten, sonst könnten Sie vergiftet werden."

An der Bushaltestelle, die gleichzeitig die Tankstelle ist, erfahre ich noch mehr über diesen Streit der beiden Familien. "Wie komme ich zum König", frage ich. Aber auf diese einfache Frage weiß der junge Mann mit vor Dreck starrenden Hosen keine einfache Antwort. "Zu welchem König wollen Sie denn, zum großen oder zum kleinen?" Verdutzt sehe ich ihn an: "Ich denke, zum großen." Die Antwort genügt dem Man, er nimmt galant meinen Rucksack und geht voran. "Die Lage ist angespannt", erklärt er. "Es wird oft geschossen."

Kniefall vor dem Herrscher
Auf dem Weg zum Palast treffen wir viele Würdenträger. Alle paar Meter fallen Frauen auf die Knie, Männer verbeugen sich tief und bekunden dem einen oder anderen alten Mann ihren Respekt. Die Gesellschaft der Dagomba ist klar hierarchisch aufgebaut, in jedem Dorf und in jeder Stadt regiert ein traditioneller Herrscher, an der Spitze der Machtpyramide steht der König. Vor dem großen runden Steinhaus der traditionellen Verwaltung begrüßt mich Tung-Lana Mahamadu, der Sekretär des Ya-Na. Mahamadu ist selbst Oberhaupt eines Dorfes, ein mächtiger Mann, vor ihm fallen die Verbeugungen noch eine Spur tiefer aus. Doch während wir noch sprechen, tritt einer auf ihn zu, der sich nicht verbeugt, und doch ist der Tung-Lana ausgesucht höflich. Als der Besucher sich vorstellt, wird dieses Rätsel gelöst: Der Mann arbeitet für Action Aid, für die finanzkräftige, britische Entwicklungshilfe-Organisation.

Auch mein Weg in den Palast führt über Geld, 70.000 Cedis, etwa zehn Euro, dienen als Gastgeschenk für den König und seine Ältesten. Dann darf ich mich auf den Weg machen zum König der Dagomba. "Fußgänger und Radfahrer aufgepasst, das Tragen von Sandalen ist im Palast nicht erlaubt." Das kleine, weiße Schild soll wohl Respekt einflößen. Der Palast, das sind Dutzende Hütten für die Frauen und Kinder des Königs. In der Mitte liegt das Haus des Königs, das aus mehreren runden Bauten besteht, die miteinander verbunden sind. Am höchsten Dach hängt eine Satellitenschüssel. Der erste Rundbau ist ein dunkler Stall, dort frisst ein mit grüner Farbe bemalter Schimmel trockenes Heu, daneben ist eine Ziege angebunden. Ein Mann mit glasigen Augen führt mich in einen Innenhof. Ich muss meine Schuhe ausziehen, barfuß darf ich schließlich das Gemach des Königs betreten.

Ya-Na Yakubu Andani II lächelt von seinem Diwan auf mich herab. Der Ya-Na thront auf einem rot gemusterten Teppich, über ihm hängen eine alte Wanduhr und ein Bild des Präsidenten. An der Wand steht ein halbhohes Regal mit einem großem Fernseher und einem Videorecorder. Mit seinem weißen Kinnbart und seinen kleinen, zwinkernden Augen sieht der König der Dagomba eher aus wie ein freundlicher Onkel als wie ein mächtiger Herrscher. Und doch kann niemand in Dagbon, in seinem Reich, ohne diesen Mann wichtige Entscheidungen treffen, auch die Regierung nicht. In Schlüsselpositionen des ghanaischen Kabinetts sitzen ohnehin viele Dagomba, so hat sich die Volksgruppe nationalen Einfluss gesichert. Neben seiner königlichen Autorität hat der Ya-Na noch ein handfestes Mittel, um Macht auszuüben: Ihm gehört das Land - und alles darauf und darunter. Ob eine Hütte gebaut oder ein Wasserloch gebohrt wird, die Kontrolle hat letztlich der König.

Willkommen beim König
"You are welcome", ruft der Ya-Na aus. Zu seinen Füßen schnipsen seine Ältesten rhythmisch mit den Fingern. Alle hocken auf dem Boden, nur ich darf auf einem niedrigen Stuhl sitzen. Ich fühle mich unwohl, alle starren mich an. Unschlüssig halte ich die Kolanuss in der Hand. Was wird von mir erwartet, wie verhält man sich gegenüber einem ghanaischen König? Schließlich beiße ich in die bittere Nuss, das scheint richtig gewesen zu sein. Wieder dieses rhythmische Schnipsen. Der Ya-Na fordert mich auf, meine Fragen zu stellen. "Was ist das Schwierigste daran, ein Herrscher zu sein?", frage ich den König. Den scheint diese Frage zu amüsieren. Zunächst belehrt er mich, dass er diese traditionsreiche Aufgabe schließlich von seinen Vorvätern geerbt habe. Dann kommt er doch noch zu meiner Frage, bleibt aber majestätisch vage: "Es ist nicht leicht, ein König zu sein", sagt er. "Es gibt immer einige, die vom rechten Weg abkommen."

Gesprächig wird der Ya-Na erst, als ich ihn nach den Problemen seines Volkes frage. Armut, Gesundheit und Ausbildung, das seien die großen Herausforderungen, erklärt er und wünscht sich Hilfe aus dem Ausland, um das Leben seiner Untertanen zu verbessern. Eine halbe Stunde später trägt ein schlaksiger Junge ein Perlhuhn herein. Der König erklärt: "Du musst daraus Suppe kochen und mir einen Teller davon bringen." Ich bin erschrocken: "Ich soll kochen - hier und jetzt?" Alle lachen, das Huhn fiept leise. Mein Übersetzer grinst mich an: "Das musst Du heutzutage gar nicht mehr. Das ist doch nur die Tradition."

Infos
Ya-Na Yakubu Andani II, der König der Dagomba, ist am 27. März ermordet worden. Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand in der Region, der Innenminister und der Minister für die Northern Region mussten zurücktreten. Laut offizieller Version starben 30 Menschen bei den Kämpfen rund um den Palast, Augenzeugen reden von 300 und mehr. Präsident John A. Kufuor versichert, dass die Untersuchungen auf Hochtouren laufen. Ergebnisse dringen aber nicht an die Öffentlichkeit, die Frage nach der Thronfolge wird vermieden. In Ghana existieren moderner Staat und traditionelle Herrschaft nebeneinander, vor allem im unterentwickelten Norden haben die Häuptlinge viel von ihrer Macht bewahrt. Der Ya-Na war einer der einflussreichsten Herrscher des Landes.

Stand: April 2002

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