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"Ich habe Kräfte, aber nur gute"
Frauen werden der Zauberei angeklagt und aus ihren Dörfern verbannt. Eine Kampagne kämpft für ihre Menschenrechte

"Wie sind Sie hierher gekommen?" Wumbei Danaa kann ein bitteres Auflachen nicht unterdrücken. "Offensichtlich wurde ich beschuldigt, eine Hexe zu sein, sonst wäre ich ja nicht hier." Die alte Frau wohnt in einem Hexencamp im Nordosten Ghanas. Das ist ein Ort, in dem laut Volksglauben nur Hexen, Zauberer und deren Nachkommen leben. Vor zwei Jahren sind in Wumbei Danaas Heimatdorf Dutzende Menschen krank geworden, sie hatten Schmerzen und Fieber, wurden immer schwächer, viele starben. Vielleicht war es Typhus, vielleicht war es Malaria. Die Menschen im Dorf jedenfalls glaubten, dass Wumbei Danaa sie verhext hatte. Deshalb brachte ihre Tochter sie ins Exil, in das Hexencamp Tindang.

Tindang sieht aus wie jedes andere nordghanaische Dorf: Staubige Wege verlaufen zwischen runden Lehmhütten. Kinder rennen herum, Männer sitzen im Schatten, Frauen waschen Wäsche. Auffällig viele Frauen leben in dem Dorf, vor allem alte Frauen wie Wumbei Danaa. Sie sitzt auf dem Boden ihrer fensterlosen, heißen Hütte und spinnt mit einer Handspindel. Hinter ihr stehen dreckige Töpfe, über eine Stange hängen schmutzige Tücher. Hitze und Armut haben sie schnell altern lassen, sie kann nicht mehr weit laufen und ist darauf angewiesen, dass ihre Nachbarn ihr Wasser holen. Manchmal tun sie es, manchmal nicht. "Nein, ich vermisse mein Heimatdorf nicht", sagt sie, und das klingt zynisch. "Wenn Menschen Dich nicht mögen, versuchen sie, Dich unter einem Vorwand wegzuschicken. Warum sollte ich sie also vermissen?"

Diese Analyse von Hexerei ist sehr rational - und nicht sehr verbreitet. Im Norden Ghanas gibt es vier Hexencamps, allein in Tindang leben nach Schätzungen von Hilfsorganisationen 1500 Menschen. Wenn eine Krankheit ausbricht, wenn jemand stirbt, dann wird ein Schuldiger gesucht, eine Lösung für das Problem. Menschen beschuldigen andere Menschen, böse Hexen zu sein. Meist trifft es die Schwachen in der Gemeinschaft, alte oder gebrechliche Frauen. Sie werden Opfer von Armut, Unterentwicklung und dem Glauben an alte Traditionen.

Kampagne für Menschenrechte
"Den Glauben an Hexerei können wir nicht einfach auslöschen", erklärt Almuth Schauber. "Aber wir können versuchen, die Behandlung der beschuldigten Personen zu ändern." Die Mitarbeiterin des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) hat eine Kampagne initiiert, sie will für die Menschenrechte von angeblichen Hexen kämpfen. In Tamale, der Hauptstadt der Nordregion, sitzen deshalb Vertreter von sieben ghanaischen Partnerorganisationen des DED bei einem Workshop zusammen und diskutieren über Poster, Radiojingles und Theaterstücke.

Die Teilnehmer des Workshops möchten mehr erreichen, als Menschen wie Wumbei Danaa Wasser und Essen zu bringen. Sie möchten, dass angebliche Hexen wie Menschen behandelt werden, dass die Vorwürfe geprüft werden und niemand deswegen verbannt, misshandelt oder getötet wird. Bis zu 20 lose Partnerorganisationen des DED möchte Almuth Schauber aktivieren. Deren Mitarbeiter sollen an Schulen, in Dörfern und im Radio aufklären und lehren und damit irgendwann die ständige Zuwanderung in die Hexencamps stoppen.

Böse Kräfte und gute Mächte
König"Die Bevölkerung wächst", sagt der Tindana, das spirituelle Oberhaupt von Tindang. "Manchmal kommen bis zu zehn Menschen in einer Woche." Der Tindana muss dann in einem Ritual entscheiden, ob diese Neuankömmlinge wirklich böse Macht besitzen. Er gibt ihnen einen selbstgemischten Trank zu trinken und köpft ein Huhn. Verendet das Tier auf dem Rücken, hat die Person keine bösen Kräfte, stirbt es auf dem Bauch, ist sie schuldig. Doch letztendlich macht das keinen Unterschied, denn das Stigma der Hexerei versperrt den Rückweg in das Heimatdorf. "Die meisten hier in Tindang sind unschuldig", erklärt Tindana Shei Danaa. Bei ihrer Ankunft würden alle gefragt, ob sie böse Kräfte hätten. Die meisten sagten "Nein".

Die Menschen außerhalb von Tindang glauben, dass dort nur Hexen und Zauberer überleben können. Die Bewohner von Tindang glauben das Gegenteil. "Wenn ich böse Kräfte hätte, wäre ich hier gestorben", erklärt Abdulai Mahamudu. Er musste vor vier Jahren Zuflucht in Tindang suchen, einer der wenigen Männer, die der Hexerei angeklagt werden. Mahamudu war Kräuterkundiger in seinem Dorf, er hatte die Aufgabe von seinem Großvater geerbt. Eines Tages kam eine Frau, "die den Geist hat", eine Jinwara, zu ihm und behauptete, er sei ein böser Zauberer. Da musste er gehen. Mahamudu kennt sein Alter nicht, vielleicht 65, vielleicht 70, auf jeden Fall zu alt, um allein als Bauer seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Doch er hat keine Wahl, seine Familie ist weit weg. "Ich habe magische Kräfte, aber nur gute", beteuert er. "Das haben doch viele Menschen."

Soziale Isolation
Das Trainings-Handbuch der Kampagne betont diesen positiven Aspekt des Aberglaubens, denn er könnte helfen, die Behandlung von Beschuldigten zu verbessern: "Hexerei wird manchmal auch als gute Schutzmacht begriffen." Der Leitfaden soll künftige Aktivisten auf ihre Arbeit vorbereiten. In der Broschüre finden sich auch Texte über die vier Hexencamps des ghanaischen Nordens: Sie alle sind unterschiedlich organisiert. Zum Beispiel hat Tindang einen Priester und einen Ältesten, weltliches Oberhaupt aber ist der Häuptling des benachbarten Ortes Gnani; andere Camps haben einen eigenen Häuptling. Aus diesen Unterschieden schließen Wissenschaftler, dass sich Hexencamps erst in jüngerer Zeit herausgebildet haben, wohingegen der Glaube an Hexerei an sich fest verwurzelt ist.

Stirbt ihr Mann an einer Krankheit oder bei einem Unfall, werden viele Witwen, auch sehr junge Frauen, beschuldigt, ihn verhext zu haben. Wenn sie ins Hexencamp kommen, stehen sie materiell vor dem Nichts: Sie haben kein Haus, kein Geld und keine Unterstützung ihrer Familie. Das Oberhaupt des Dorfes muss sie aufnehmen, aber er hat selbst wenig.

In Tindang hat die Hilfe der ghanaischen Organisation Management Aid (MAID) diese Not seit 1999 etwas gelindert. "Wir geben den Bewohnern Wasser, Essen und Unterkunft", erklärt Mitarbeiter Shahadu Nantogmah. Die Organisation hat zwei Bohrlöcher, eine Mühle und Toilettenanlagen finanziert und gewährt kleine Kredite für den Kauf von Samen oder Baumwolle. Sie hilft nicht nur materiell, sondern gibt den Bewohnern auch etwas von ihrem sozialen Leben zurück: Trommeln für den Simpa, den Tanz, und endlich Austausch mit den Nachbarn. Denn MAID bezieht Gnani, das nächste Dorf, in die Aktionen mit ein. Dadurch reden die Menschen miteinander, kommen in Kontakt. Doch das ist noch lange keine Normalität, die meisten Bewohner des Nordens fürchten die bösen Kräfte der Hexen. Wenn sie zu wissen glauben, dass eine Frau eine Hexe ist, meiden sie ihre Nähe und verweigern ihr den Zugang in ihr Dorf.

Häuptlinge können helfen
Die Teilnehmer des Workshops diskutieren ein Theaterstück, das zeigt, wie irrational dieser Glaube an böse Kräfte ist. "Woher weißt Du, dass Hexen sich ihre Opfer beim Tanzen suchen? - Ich weiß es, denn mein Freund ist keines natürlichen Todes gestorben. Letzte Woche hat er noch getanzt, am nächsten Tag war er tot. Diese Hexen müssen getötet werden." Das Stück wurde in einem Dorf in der Nähe eines Hexencamps aufgeführt. Vor allem das Ende begeisterte die Zuschauer: Der Häuptling soll entscheiden, ob zwei alte Frauen schuldig sind. Er aber sagt, die Menschen im Palast könnten nicht einfach über Leben und Tod entscheiden. Schließlich fragt er das Publikum um Rat.

Mariama Iddi hat so einem Menschen ihr Leben zu verdanken. Jemand behauptete, sie sei schuld am Tod ihres Bruders. Da musste sie fliehen und fand Unterschlupf bei einem Häuptling. Er sagte zur ihr, dass nur Gott Menschen töten könne. Aber auch er konnte die Frau nicht vor dem Exil bewahren, sie kam nach Tindang. Materiell gesehen ist die alte Frau nicht ärmer als viele andere Menschen im Norden Ghanas: Sie verdient im Monat etwa 1,50 Euro, ihr Dorf ist mit zwei Wasserquellen und einer Mühle sogar relativ wohlhabend. Doch die Schande und die Trennung von ihrer Familie überschatten ihr Leben. Mariama Iddi hatte gehofft, dass sie in Tindang ihren Namen reinigen und nach Hause gehen könne. Deshalb kam sie freiwillig in den Ort, den sie nun nicht mehr verlassen kann. Sie ist nicht zufrieden dort und kann doch glücklich sein, dass sie fliehen konnte. Die Jugendlichen in ihrem Heimatdorf hätten sie sonst getötet.

Lynchen ist ein Verbrechen
Das Bild an der Pinnwand zeigt Jugendliche, die mit Steinen und Stöcken auf eine alte Frau einschlagen; ein Polizist hält einen von ihnen zurück. Das Poster soll Teil der Kampagne für die Menschenrechte von beschuldigten Frauen werden. Workshop-Moderator Cosmas Alhassan von der Teaching for Freedom Foundation zeigt auf den Entwurf: "Was ist daran falsch, was müsste geändert werden?" Poster sind sehr wichtig, um die Zielgruppe zu erreichen. Nach Schätzungen kann ein Drittel der knapp 20 Millionen Ghanaer nicht lesen, die Mehrheit von ihnen lebt im wenig entwickelten Norden.

Ein Teil der Szene ist realistisch: Jugendliche rotten sich in den Dörfern des Nordens zusammen und versuchen die angeblichen Hexen zu töten. Ein anderer Teil ist weit hergeholt: Selbst wenn ein Polizist in der Nähe sein sollte, werde er sich nicht mit Hexerei einlassen, meint eine Teilnehmerin des Workshops, die als Sozialarbeiterin in einem Hexencamp arbeitet. Das Poster wird dennoch akzeptiert. Es zeigt, dass Lynchen ein Verbrechen ist, das sei die wichtige Botschaft. Die Runde will schon zum nächsten Bild wechseln, als noch eine Frage auftaucht: Könnte man nicht irgendetwas an der alten Frau ändern, damit man sieht, dass sie eine Hexe ist? Die Gegenfrage kommt prompt: Was soll das sein? Hexen sind doch ganz normale Menschen.

Stand: April 2002

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